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Carpaccio. Zwei Venezianerinnen

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Über den renommiertesten Bildhauer seiner Zeit

Vittore Carpaccios (um 1465-1525/26) zwei Venezianerinnen gelten für John Ruskin als «the best picture in the world». Wer sind die Damen, die auf der Dachterrasse sitzen? In welchem Kontext malte der Künstler diese Szene? Handelt es sich um ein Doppelporträt, eine Genreszene oder um eine Allegorie? Fragen über Fragen. Man könnte an Edeldamen denken, was das Wappen an der Vase nahelegen würde, sowie an Kurtisanen, die sich als Patrizierinnen ausgeben mit allem Drum und Dran.

Die Gesellschaft in der Lagunenstadt wurde wie anderswo von den Männern dominiert. Die Politik war ausnahmslos in Männerhand. Dagegen spielten die Frauen in wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Hinsicht eine bedeutende Rolle. Sie beteiligten sich über Standesschranken hinweg an der Armen- und Krankenfürsorge. Ferner bewirkte das kulturell aufgeschlossene und internationale Klima der Stadt, dass die Damen der obersten Schichten sehr gebildet waren. Venedig war Zentrum des Verlagswesens, hier wurden die literarischen Werke von Frauen aus ganz Italien gedruckt. Einflussreiche Verlage zogen auch namhafte Poeten und Humanisten an, die in ihren Schriften im Wettstreit mit der Malerei der Frau und der Liebe huldigten. Ferner stellten die sozioökonomischen Besonderheiten der Mitgift- und Erbrechtsregelungen die Frauen in Venedig besser als anderswo – die verheiratete Frau besass hier die Möglichkeit, über ihre Mitgift zu verfügen.
Zurück zu unserem Bild! In purpurroten und goldfarbenen Kleidern aus Brokat und Samt sitzen die Damen mit Hunden spielend in Gesellschaft eines Jünglings, umgeben von Tauben, Papagei und Pfau, auf einer altana, einer Art Dachterrasse, von wo aus man das öffentliche Leben Venedigs verfolgen kann. Solche Balkone dienten auch der Beobachtung der Schiffe. Gerne wurden sie von den Venezianerinnen benutzt, um die frisch blond gefärbten Haare an der Sonne zu trocknen. Ausführlich berichtet der Chronist Cesare Vecellio, ein Verwandter Tizians, über diese Prodzedur: «Hat die Sonne das Haar getrocknet, so baden sie es schnell von neuem in derselben Mixtur, um es noch einmal am Feuer des Himmels zu trocknen. So machen sie die blonden Haare, die man an ihnen sieht.» Bei Carpaccio ist die Situation eine andere. Hier geht es nicht um das Kolorit der Haare, vielmehr sitzen die Damen wartend auf der Terrasse. Wartend worauf ? Die Antwort gibt die Geschichte des Bildes. Die zwei Venezianerinnen stellen die untere Hälfte einer Ansicht dar, deren oberer Teil die «Jagd in der Lagune» bildet, die sich heute im J. Paul-Getty-Museum in Los Angeles befindet und bis 1955 beinahe unbekannt blieb. Die beiden Tafeln, die vermutlich schon in der Renaissance voneinander getrennt worden sind, schmückten ein möglicherweise für eine Braut bestimmtes Möbelstück oder einen Türflügel, worauf verbliebene Haken und Scharniere an den Längsseiten hinweisen. Zweifellos gehören die Malereien inhaltlich zusammen. Die Lilie in der Majolika-Vase führt von einem Bild in das andere über – ein unmissverständliches Indiz für die ehemalige Verbundenheit der beiden Teile. Die Gesamthöhe der beiden Fragmente beträgt 169,9 cm, die Breite des Bereichs mit den Venezianerinnen 63,5 cm, die Szene auf der Lagune 63,8 cm. Auch dies spricht für das zusammenhängende Geschehen der getrennten Teile. Der Originalzustand der Gesamtszenerie ist in Bezug auf Grösse und Stil Carpaccios Scuole-Bilder näher als seinen übrigen Werken.
Als Scuole wurden in Venedig Bruderschaften, geistliche und karitative Korporationen, Zünfte und Gilden bezeichnet. Dass die vorliegenden Gemälde im Zusammenhang mit einer Scuola entstanden sein könnten, muss jedoch ausgeschlossen werden, da das Exemplar im Getty-Museum auf der Rückseite ein Trompe-l’œil eines Briefkastens zeigt. Scuole-Bilder waren nie hinten und vorne bemalt.

Im Kontext der beiden Gemälde warten die Damen gelangweilt auf die Rückkehr der Männer, die sich auf dem Wasser ihrem Jagdvergnügen hingeben. Die Symbole im unteren Teil des Ensembles spielen auf verschiedene, zum Teil auch gegensätzliche Verhaltensweisen an, auf Liebe und Fruchtbarkeit das Taschentuch, Turteltauben und die Perlenkette, auf Keuschheit die oben abgeschnittene Lilie, auf Freude und Frieden die Myrte, auf Schönheit, Reichtum, Stolz, Liebe und Leidenschaft der Pfau, der aber ebenso für Arroganz und Eitelkeit steht, auf Schönheit, Weiblichkeit, Fürsorge und Mütterlichkeit der Papagei.
Ferner weisen bei der Dame rechts, wohl der älteren, die sogar die Mutter der anderen sein könnte, der Windhund auf Wachsamkeit und das Schosshündchen auf Geselligkeit hin.

Die Venezianerinnen und die «Jagd in der Lagune» dürften in der Zeit um 1495 entstanden sein. Damals arbeitete Carpaccio auch am neunteiligen Ursula-Zyklus für die nicht mehr existierende Scuola di Sant’Orsola, wohl das Hauptwerk des Meisters (1490/95, Accademia Venedig). In dieser hochkarätigen Bilderfolge konzentrierte sich der Maler auf diejenigen Ereignisse, die den Venezianern besonders entsprachen, die Seefahrt und diplomatische Empfänge. Die Legende ist durch seinen Pinsel zu einer Verherrlichung der Serenissima geworden. Immer mehr tritt nun das Zeichnerische zu Gunsten von Farbe und Licht zurück.

Franz Zelger

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