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Goethe und die Farbe der Sonne

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Goethe und die Farbe der Sonne

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Die Reise, die Goethe im September 1786 begann, führte ihn, so schrieb er zwanzig Jahre später in seiner „Italienischen Reise“, in das „süße Land der Schönheit … eine Art gelobtes Land“. Diese Wertschätzung, die er zum Ausdruck bringt, als er am Brennerpass ankommt, und die von dem Bewusstsein getragen wird, das Zentrum der Natur und der Geschichte des mediterranen Europas zu erreichen, hat auch eine nicht ganz offensichtliche Motivation: Der berühmteste Gelehrte, der die Grand Tour unternimmt, flieht vor den kalten Temperaturen Deutschlands, vor den Nebeln und vor dem Regen. Er sucht ein mildes Klima, das er, abgesehen von den „seltsamen Theorien des ambulanten Wetterbeobachters“, über die seine Freunde lachen, von den ersten Seiten an in der Architektur und in den Natur- und Kulturlandschaften findet, in den Formen, Farben, Aromen und Düften der Früchte und der verschiedenen Baumarten, die sie hervorbringen.

In Italien findet er süße, reife Trauben und kostet endlich die guten Pfirsiche, nach denen er sich sehnte und die er zwei Wochen zuvor in Regensburg und dann in München verachtet hatte. An den Ufern der Etsch genießt er sie zusammen mit Maulbeeren, Äpfeln, Birnen, Quitten und Nüssen. Früchte, die er, als er in Torbole am Nordostufer des Gardasees ankommt, für eine wahre Delikatesse hält, denn „sie müssen da wohl köstlich sein, wo schon Zitronen wachsen“.

Illustration: Giulia Conoscenti, Mitgründerin des PELO-Magazins
Buchcover für „Agrumi – Una storia del mondo“, von Giuseppe Barbera, ilSaggiatore

Zu den Früchten der Natur und zu der mediterranen Geschichte kommen exotische Wunder hinzu. Am nächsten Tag sieht er „Berggärten, terrassenweise angelegt und mit Zitronenbäumen bepflanzt, die ein reiches und reinliches Ansehn geben“. Es ist die Landschaft des Gardasees mit ihren Zitronenhainen, die an den wärmsten Hängen und geschützt vor den Winden angelegt sind. Sie sind das erste Zeugnis der Bäume und Früchte, die seine Reise begleiten werden, in einer Abfolge von biologischer und landschaftlicher Vielfalt, von Formen und Aromen, die diese Gärten im nördlichen Italien, gezwungen durch die Unbilden des Klimas, nur im jahreszeitlichen Wechsel zwischen Gewächshäusern, Terrassen und Parterres bieten. Und doch sind sie einzigartig faszinierend.
In Rom findet er im Dezember 1786 Orangen- und Zitronenbäume: „Hunderte der schönsten Früchte an so einem Baum, der in der Erde frei und froh in einer Reihe mit seinen Brüdern steht. … Die Zitronenbäume, die in den Gärten an den Wänden gepflanzt sind, werden nun nach und nach mit Decken von Rohr überdeckt, die Pomeranzenbäume aber bleiben frei stehen“. Zitronen haben eine geringe Kältetoleranz, während Orangen ungeschützt wachsen, wobei sowohl Blüten als auch Früchte gleichzeitig vorhanden sind: „Man kann sich nichts Lustigeres denken als einen solchen Anblick“. In Neapel, in Capodimonte, wachsen sie frei, nicht beschnitten wie in nordeuropäischen Gärten. Auf den Märkten sind die Läden geschmückt mit „Zitrusfrüchten aller Art, die schön gemischt mit den grünen Zweigen aussehen“, und die Straßenverkäufer „gehen herum mit Fäßchen Eiswasser, Gläsern und Zitronen, um überall gleich Limonade machen zu können, einen Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag“.
Schließlich kommt er in Sizilien an, im exotischen Land der Mythen, und im öffentlichen Garten von Palermo (Villa Giulia) sucht er zwischen „Zitronenspalieren, die sich zum niedlichen Laubengange wölben … im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes“ die Urpflanze, und hält inne, um die Odyssee zu lesen, während er sich im Garten des Alkinoos wähnt. In den letzten Tagen in Sizilien geht das Wunder noch weiter: In den Gärten zwischen dem Theater von Taormina und der Stadt „habe ich mich in einem schlechten, verwahrlosten Bauerngarten auf Orangenäste gesetzt und mich in Grillen vertieft“.
Ein paar Monate zuvor, im Februar 1787, als er von Rom nach Neapel reiste, präsentierte sich jenseits der pontinischen Sümpfe die mediterrane Natur mit Palmen und Kaktusfeigen, und nachdem er Fondi verlassen hatte, wurde er von den über die Mauern hängenden Orangen begrüßt. Goethe erinnert an Mignon, das italienische Mädchen, das „wohl recht hatte, sich nach diesem Land zu sehnen“. Er hatte darüber in Wilhelm Meisters theatralische Sendung geschrieben, als er Italien noch nicht gesehen hatte, und dann in Wilhelm Meisters Lehrjahre im Jahr 1796, zehn Jahre nach seiner Reise. Mignon ist zwölf Jahre alt. Ambivalent, ephebisch und androgyn singt und tanzt sie für eine Gruppe von Straßenkünstlern, die Wilhelm, ein Theaterliebhaber und menschenfreundlicher Arzt, trifft und unter seinen Schutz nimmt. In einem Lied wendet sie sich an ihren Gönner:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn.
Das Lied wurde sehr berühmt und von Schubert, Beethoven und Schumann vertont. Es gibt einem Walzer von Johann Strauss (Sohn) den Titel, und wird immer wieder zu verschiedenen Anlässen und in unterschiedlichen Formen wiederbelebt, um Italien zu repräsentieren.

Goethes Leidenschaft für italienische Landschaften ist das bekannteste der vielen Zeugnisse von Reisenden, die auch nach der Rückkehr in die Heimat in literarischen Texten, Kunstwerken, in der Architektur und in Landschaften auftauchen, die an die Schönheiten der Natur und Kunst des Mittelmeerraums erinnern. Beispielhaft ist der Wunsch des späteren Königs Friedrich Wilhelm IV., in Potsdam im großen Park von Sanssouci die Gärten und Schlösser so zu gestalten, dass die ihn an seine Reisen in Italien erinnern, wo er mehrmals Amalfi und Sorrent besuchte. Er trug den Band „L’Architecture Toscane“ bei sich, traf Künstler, kaufte Gemälde und Skulpturen und fertigte selbst Hunderte von Architektur- und Landschaftsskizzen zu den italienischen Villen an. An ihnen orientiert sich der Park des Schlosses Charlottenhof, der römischen Villen ähnelt, während die große Orangerie, die im Winter Pflanzen beherbergt, die den Sommer im Freien verbringen, an die Villa d’Este erinnert.

Auf den Stufen der großen Terrassen vor dem Schloss Sanssouci sind Spaliere für Feigen und Weinreben angebracht, die in den kalten Monaten durch Glas geschützt werden. Friedrich Wilhelms Lehrer war dabei Karl Friedrich Schinkel, der große Erneuerer des deutschen Klassizismus, der nach Sizilien gereist war, um die dortige Landschaft zu feiern. Aus seinen Zeichnungen entstand der Auftrag an Peter Joseph Lenné, Architekt, der sich 1844 und 1847 in Italien aufgehalten hatte und seit 1824 Direktor der königlichen Gärten war, einen Sizilianischen Garten mit dem Klima des Mittelmeers zu errichten. Dieser temporäre Garten auf einem regelmäßigen Grundriss, bestehend aus Hainbuchen- und Lebensbaum-Pergolen, Hecken und Wäldchen mit Pflanzen, die für das raue Klima geeignet sind, wird seit 1857 jedes Jahr mit Pflanzen aus der Orangerie vervollständigt, die im Mai ihre Tore öffnet. Dazu gehören große Olivenbäume in Kübeln, Zwergpalmen und Steineichen, Orangen- und Zitronenbäume, Granatäpfel, Lorbeeren, Myrten, Agaven und Kaktusfeigen. Mit ihnen ändert der Garten sein strenges Gesicht: Er wird angereichert mit Formen, Farben und Düften, die in der preußischen Landschaft exotisch erscheinen. So bleibt es bis Mitte September, wenn die Pflanzen in die Orangerie zurückkehren, um den Winter zu verbringen, beheizt von Öfen und von der warmen Sonne, die gelegentlich durch die großen Fenster scheint. Der Park von Sanssouci und Goethes Dichtung sind das leuchtendste Beispiel dafür, wie der Wunsch nach Wissen und Erfahrung des auf den Reisen ans Mittelmeer Erlebten zu einem geistigen Erbe wird und die eigene Natur und Kultur inspiriert.

Aus dem Italienischen übersetzt von
www.ansetraduzioni.it

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