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«O glückliche Einsamkeit» – Ein Besuch auf San Francesco del Deserto

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«O glückliche Einsamkeit» – Ein Besuch auf San Francesco del Deserto

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Es gibt Winkel in der Lagune von Venedig, in denen, fern von aktuellen Touristenströmen, die Zeit stehengeblieben ist. So auf der nur 300 Meter langen und knapp 170 Meter breiten Insel zwischen Burano und Sant’Erasmo: San Francesco del Deserto, dem stillsten Ort der Serenissima.
Über die weite Wasserfläche gleitet – zwar nicht lautlos wie die Gondel – ein Fischerboot von der Insel Burano mit ihren bunt bemalten Häusern in Richtung Francesco del Deserto und landet nach rund viertelstündiger Fahrt an einem der wohl schönsten und dabei kaum bekannten Orte der venezianischen Lagune.
Das Wasser wird nur leicht von Wellen gekräuselt an diesem prachtvollen Frühlingstag. Es verschmilzt mit dem Himmel in dunstigem Blau. Die Barke fährt als einziges «Kursschiff» einmal im Tag um 14.30 Uhr hin und später wieder zurück. Schon aus der Ferne bezaubert der Anblick dieser Wunderwelt. Zwischen hunderten von Zypressen ragt der Kirchturm aus dem 15. Jahrhundert in die Höhe. Er bildet mit den das Eiland prägenden immergrünen, säulenartigen Bäumen eine harmonische Einheit.

Die sanfte Landschaft lädt zu Spaziergängen ein durch mediterrane Gärten mit einer Fülle von Blumen und Pflanzen, Beeren und Kräutern, durch Baumalleen zu immer neuen idyllischen Aussichtspunkten. Da erkennt man in zartem Dunst das farbenfrohe Burano mit seinem schiefen Kirchturm, dort Crevan, die dicht bewaldete Festungsinsel im Norden. Oder Sant’Erasmo, das grösste Eiland in der Gegend, das Gemüse wie junge Artischocken und grüne, ganz dünne Spargeln in die Lagunenstadt liefert, wobei die Bewässerung der Felder hauptsächlich über schmale Kanäle erfolgt, die durch ein System von Schleusen mit Meerwasser gefüllt werden. Und in weiter Ferne zeichnen sich die Silhouetten der Serenissima mit dem Campanile von San Marco und die Gebirgszüge der Dolomiten ab. So lässt sich auf den sorgsam gepflegten Wegen in diesem Paradies träumen und meditieren, sei es im intensiven Licht des Tages, bei Nebel oder nachts im Mondschein, wenn am Ankerplatz zusammenstossende Barken geheimnisvoll knarren, oder im Morgengrauen bei glattem, unbeweglichem Meer, wenn die Vögel zu zwitschern und die Hähne zu krähen beginnen. Von der Anlegestelle des Fischerbootes führt ein direkter Weg zum Kloster, das nach der Legende auf den Aufenthalt des Franz von Assisi zurückgeht, der um 1220 aus Palästina, wo er sich als Missionar dem Kreuzfahrerheer angeschlossen hatte, nach Italien zurückgekehrt war. Auf der damals wegen des Weinbaus «Isola delle due Vigne» genannten Insel, die seit der Römerzeit besiedelt war, was archäologische Funde bestätigen, gedachte er ein Leben in Demut und Frieden zu führen. Doch es zog ihn nach Assisi zurück. Im Jahr 1228 liess der Patrizier Jacopo Michiel – ein Mitglied einer Dogenfamilie und über seine Frau mit dem Patriarchen von Grado, Angelo Barozzi, verwandt – , als Besitzer der Insel eine schmucklose Kirche mit dem Namen San Francesco errichten, und zwar an der Stelle, wo der Heilige seine erste bescheidene Behausung gebaut hatte. Im März 1233 schenkte Michiel diese den Franziskanern, die dort ein Kloster mit 31 Zellen erbauten, das um zwei Kreuzgänge herum entstand. Um 1420 wurde die Insel wegen der in diesem Gebiet wütenden Malaria für über 30 Jahre verlassen. Weil sie verwüstet und unbewohnt war, erhielt sie den Namen San Francesco del Deserto, den sie bis heute trägt.

Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts gestalteten die zurückgekehrten Brüder Kirche und Gebäude zu einem Renaissance-Kloster um und pflanzten damals auch die dominierenden Zypressen. Im Jahre 1797 wurde die Republik Venedig durch Napoleon aufgehoben und fiel später an Österreich. Französische Soldaten plünderten die Insel und raubten zahlreiche Kunstschätze. In der Folge wurde der Konvent aufgelöst. Das Kloster diente nun als Sprengstofflagerstätte und die friedlich-beschauliche Insel als Militärkaserne. Die Mönche verliessen das Gebiet abermals. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kehrten sie dank Kaiser Franz Joseph von Österreich, der ihnen die Insel schenkte, zurück. Heute wird sie noch von fünf Mönchen bewohnt, die auch Einkehrtage für Laien anbieten, wobei die Gäste (auch Frauen) auf der Suche nach Stille, Ruhe und Meditation in die Gemeinschaft der Mönche integriert werden und an deren Tagesablauf teilnehmen.
Mit dem Roman «Pandora’s Galley» von Mac Donald Harris (Pseudonym von Donald Heiney) ist die Insel auch in die amerikanische Literatur eingegangen: Der Söldnerkapitän der Pandora, Malcolm Langrish, ein Protagonist dieser 1979 publizierten Geschichte, unterhält sich im Kloster von San Francesco del Deserto mit dem berühmten Kartographen und Mathematiker Fra Mauro. Der Mönch lebte in Wirklichkeit jedoch im Konvent San Michele in Isola auf Venedigs Friedhofinsel.
Das lateinische Sprichwort, das einen an der Klosterpforte empfängt, verheisst nicht zuviel: «O beata solitudo, o sola beatitudo» (O glückliche Einsamkeit, o einzige Glückseligkeit).

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