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Antonio Canova und Possagno

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Über den renommiertesten Bildhauer seiner Zeit

Im Hinterland von Venedig, nördlich von Asolo in der Provinz Treviso, liegt in einer bezaubernden Hügellandschaft Possagno. Der kleine Ort und seine Umgebung werden noch heute von einer gewaltigen, auf einer Anhöhe gelegenen marmornen Kuppelkirche, einer Replik des römischen Pantheons, dominiert. Das ist der Tempio, den Antonio Canova (1757– 1822) seinem Geburtsort gestiftet hat. Canova wuchs in dieser Gegend unter der Obhut seines Grossvaters väterlicherseits Pasino Canova auf, eines Steinmetzen. Schon früh zeigte er eine Neigung zur Bildhauerei und schuf kleine Objekte aus Ton. Im Jahr 1768 absolvierte er im Atelier von Giuseppe Bernardi in Pagnano d’Asolo eine Lehre. Anschliessend besuchte er die Accademia Veneziana di pittura e sculptura. 1775 eröffnete er eine eigene Werkstatt in der Serenissima. Vier Jahre später reiste er zum ersten Mal nach Rom, wo seine kometenhafte Künstlerlaufbahn begann, die ihn an die Höfe von Wien, Paris und London führte. Er zeichnete sich aus als Schöpfer von Grabmälern und Grabreliefs, von religiösen Bildwerken, Ehrenmälern, Bildnissen, Mythologien und Allegorien. Canova gilt als der renommierteste Bildhauer seiner Zeit. Er wurde von so gegensätzlichen Auftraggebern wie Napoleon und den Habsburgern, Päpsten und subversiven Liberalen, englischen Bankiers und amerikanischen Senatoren bewundert. In Rom war sein Atelier eine Touristenattraktion ersten Ranges. Der französische Maler François-Marius Granet überliefert, dass er sich, als er Canovas Atelier aufsuchen wollte, auf der Strasse «durch eine Heerschar wartender Wagen und Dienerschaft zu kämpfen» hatte. Dort angekommen, sah er, wie ein Gehilfe Canovas eine weibliche Statue auf einer Plinthe langsam um ihre Achse drehte, so dass man sie von allen Seiten bewundern konnte. Für den Künstler war die Mehransichtigkeit wichtig. So hat er auch Kupferstiche nach eigenen Werken in Auftrag gegeben, welche die Skulpturen von verschiedenen Seiten zeigen. Sein eigentlicher Arbeitsprozess konzentrierte sich auf das Erfinden und Entwerfen der Statuen sowie auf das Vollenden. Die Übertragung des Modells auf den jeweiligen Marmorblock besorgten die Gehilfen. Canova hat die Bildhauerkunst gemäss den durch die Französische Revolution und die Säkularisation entstandenen Erfordernissen der Zeit erneuert und einen aktuellen Kanon von Formen und Inhalten geschaffen: «Canova besass den Mut, die Griechen nicht zu kopieren, sondern sich eine eigene Schönheit zu erfinden» (Stendhal, «Reise in Italien», 1817). Von unvergleichlicher Schönheit sind die Grazien, Nymphen und Göttinnen. Die jugendlichen Gestalten von Amor und Psyche verraten in ihrer verliebten Umarmung, dass Canova bei aller klassischen Strenge lyrische Poesie und Empfindsamkeit nicht fremd waren. Die auf einem Löwenfell ruhende Nymphe lauscht versunken dem Leierspiel Amors. Man steht voller Andacht vor Paolina Borghese, der Schwester Napoleons, als Venus Victrix, einem der berühmtesten Werke des Bildhauers. In klassizistischer Manier inszeniert sich Paolina als halbnackte Schönheit auf einem Ruhebett, den Kopf auf den rechten Arm gestützt, in der linken Hand einen Apfel haltend. Das Denkmal der Erzherzogin Maria Christina in der Wiener Augustinerkirche, die erste grosse Arbeit Canovas ausserhalb Italiens, gilt bis heute als eines der schönsten und einflussreichsten Beispiele der klassizistischen Grabmalkunst. Dieser Auftrag von Maria Christinas Ehemann Herzog Albert von Sachsen-Teschen ermöglichte es Canova, Entwürfe für ein Tizian-Monument aus den 1790er Jahren weiterzuentwickeln und den Inbegriff des Erinnerungsmonuments des frühen 19. Jahrhunderts zu entwerfen. Die Pyramide als Grabarchitektur, ein Trauerzug mit Figuren unterschiedlichen Alters, Symbole wie die Schlange für das ewige Leben werden auch in der Nachfolge Canovas wichtige Elemente der Sepulkralkunst sein. Zu den Musterbeispielen venezianischen Kunstschaffens zählt auch das lebensgrosse Sitzporträt von Napoleons ältester Schwester, Elisa Bonaparte, als Polyhymnia. Dabei hat sich der Bildhauer für eine offene, assoziative Gestaltung entschieden, zumal damals der Sturz Napoleons bereits absehbar war: Die Fürstin erscheint ohne charakterisierende Merkmale, und durch den willkürlichen Gebrauch von Motiven und Attributen erreicht Canova eine gewollte Austauschbarkeit. Geradezu spektakulär war seine Reise nach Paris im Jahre 1815. Nach der Schlacht von Waterloo gelang es ihm dank diplomatischem Geschick, zahlreiche Kunstwerke, die Napoleon geraubt hatte, nach Italien zurückzubringen, allen voran die Bronzepferde von San Marco, den Vatikanischen Laokoon und die Venus von Medici.
Wieder in Possagno: Vom eindrücklichen Tempio führt der Weg direkt hinunter zu Canovas Geburtshaus. Daran angebaut ist die Gipsoteca, welche die Sammlung der in Ton und Terracotta geschaffenen Modelle in einer Halle mit Tonnengewölbe und Apsis beherbergt: Gruppen, Standbilder, Reliefs, Büsten. Zum zweihundertsten Geburtstag von Canova im Jahr 1957 wurde der Museumsbau deutlich vergrössert. Diesen Auftrag erhielt Carlo Scarpa, dem es exemplarisch gelungen ist, die klassischer Schönheit verpflichteten Werke mit einer lichtvollen, harmonisch ruhigen Architektur von einzigartiger Noblesse zu umfassen. Die Modelle weisen eine Vielzahl kleiner Punkte auf, die den Werkstattmitarbeitern als direkte Vorlage für die Behauung des Marmors dienten – die Vermessung der Markierungen leistete einen essentiellen Beitrag bei der Übertragung in Stein. Zugleich erhalten die Skulpturen durch die Punktrasterung eine unmittelbare Wirkung. Sie sind oft lebendiger als der nach ihnen geformte Marmor, den Canova glättete und polierte.

Der Künstler starb am 13. Oktober 1822 in Venedig. Zehn Jahre später wurde sein Leichnam in den Tempio verlegt. Sein Herz ist in Venedig geblieben. Es wird in einer Urne in dem von seinen Schülern nach dem Konzept des Meisters errichteten Grabdenkmal in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari aufbewahrt. Die Gipsoteca und das Wohnhaus in Possagno aber verwahren Canovas künstlerische Ideenwelt.

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