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Goethes italienische Früchte

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Goethes italienische Früchte

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Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Frucht-Stillleben, Hamburger Kunsthalle, 19. Jhd. undatiert

Die Sehnsucht nach einem anderen als dem kontinentalen Klima war einer der Gründe, die Goethe am 4. September 1786 dazu veranlassten, Karlsbad mitten in der Nacht zu verlassen. Ein Wunsch, der auf den ersten Seiten der Italienischen Reise mehrfach auftaucht. Schon beim Überqueren des Brennerpasses bekennt er: „Ich muß gestehen, da meine Reise eigentlich eine Flucht war vor allen den Unbilden, die ich unter dem einundfünfzigsten Grade erlitten, daß ich Hoffnung hatte, unter dem achtundvierzigsten ein wahres Gosen zu betreten.“
Er schreibt über Tirol, er schwelgt in den Charakteren der Bewohner, der Vegetation, den geologischen Formen. Beim erneuten Lesen des Entwurfs der Iphigenie fügt er hinzu: „der poetische Sinn … von Bewegung und freier Luft begleitet.“ Die Länder des Mittelmeers und Italien, das „schöne, warme Land“, kündigen sich mit Sonnenschein und milden Temperaturen und Winden an, und der Reisende entfernt sich allmählich von Frost, Nebel und Regen. Zwei Breitengrade verändern die Landschaft: Die Sonnenstrahlen treffen in steilerem Winkel auf die Erde, es wird wärmer und die Stimmung wird besser.

In den italienischen Tälern und dann in den Ebenen überwiegen Bäume mit bunten, duftenden und süßen Früchten. Dies ist die Landschaft par excellence der italienischen Geschichte: die des „gemischten Anbaus“, der im 1. Jahrhundert v. Chr. von Marcus Terentius Varros in seinem Werk De re Rustica beschrieben wurde: „Welche fruchttragende Pflanze stammt nicht nur aus Italien, sondern gedeiht dort ganz vorzüglich? Ist ganz Italien nicht mit Bäumen bepflanzt, dass alles wie ein Garten aussieht?“ Das milde Klima drückt sich in der Süße der Früchte aus. Fast jede Seite des Tagebuchs bestätigt, dass die Obstbäume die Merkmale der Landwirtschafts- und Forstwirtschaftssysteme aufweisen, die die Menschen zur Selbstversorgung oder für den Markt nutzen. Seine Begeisterung für die Früchte, die er probiert, heimlich pflückt oder die ihm angeboten werden, wächst von Tag zu Tag. In Regensburg stellt er am Morgen der Abreise fest, dass „das Obst nicht sonderlich ist. Gute Birnen habʼ ich gespeist; aber ich sehne mich nach Trauben und Feigen.“ Zwei Tage später in München findet er die ersten frühen Früchte akzeptabel, aber in der Nähe von Innsbruck stellt er fest, dass Pfirsiche und Trauben aus Italien importiert werden. Endlich kann er sie zusammen mit Maulbeeren, Äpfeln, Birnen, Quitten und Walnüssen an den Ufern der Etsch genießen.

Als er in Torbole am Ufer des Gardasees ankommt, bemerkt er: „Mein eigentlich Wohlleben aber ist in Früchten, in Feigen, auch Birnen, welche da wohl köstlich sein müssen, wo schon Zitronen wachsen.“ Am nächsten Tag staunt er über die „Berggärten, terrassenweise angelegt und mit Zitronenbäumen bepflanzt, die ein reiches und reinliches Ansehn geben.“ In der Poebene angekommen, ist er in Verona erstaunt, dass „es auf den Plätzen an Markttagen sehr voll ist. Gemüse und Früchte unübersehlich.” Plinius schrieb in seiner Naturalis Historia, dass „Früchte das Leben der Menschen versüßen“, und das in vielerlei Hinsicht, indem sie zum Genuss des Essens, zu einem gesunden Leben, zur Schönheit der Gärten und zur ästhetischen und ökologischen Harmonie der Landschaft beitragen. Auf dem Weg nach Vicenza durchquert Goethe „ein fruchtbares Feld, man blickt in tiefe Baumreihen, an welchen die Reben in die Höhe gezogen sind, die sodann, als wären es luftige Zweige, herunterfallen.“
Die Reben umarmen die Bäume, das Hauptmerkmal des gemischten Anbaus in Mittel- und Nord-italien. Die Erntetage sind fröhlich: „Der Weg ist voll Menschen aller Art und Gewerbes“. Ein „freudiger Eindruck“, der in Padua anhält: „Die Fülle der Pflanzen‐ und Fruchtgehänge über Mauern und Hecken, an Bäumen herunter, ist unbeschreiblich“.
Die Reise führt ihn in den Süden, und immer häufiger trifft er auf Olivenbäume, die die ländliche Landschaft Mittelitaliens kennzeichnen. Als er sich im Oktober in der Nähe von Perugia aufhält, stellt er fest, dass „die Ölbäume wunderliche Pflanzen sind; sie sehen fast wie Weiden, verlieren auch den Kern, und die Rinde klafft auseinander“. Als er noch weiter nach Süden reist, hört er nicht auf, die Landschaft mit ihren Pomeranzen-, Orangen- und Zitronenbäumen zu preisen. Als er in Rom an „wunderbaren Tagen“ spazieren geht, findet er „hunderte der schönsten Früchte an so einem Baum, der in der Erde frei und froh in einer Reihe mit seinen Brüdern steht. … Die Zitronenbäume, die in den Gärten an den Wänden gepflanzt sind, werden nun nach und nach mit Decken von Rohr überdeckt, die Pomeranzenbäume aber bleiben frei stehen“. Die Blumen und Früchte, die gleichzeitig präsent sind, kommentiert er: „Man kann sich nichts Lustigeres denken als einen solchen Anblick.“

Basilius Besler, Fructus Opuntiae, aus Hortus Eystettensis, Nürnberg, 1613

Im Februar, auf der Fahrt von Rom nach Neapel, präsentiert sich die mediterrane Natur mit den charakteristischen Palmen und Kaktusfeigen. Nachdem er die Stadt Fondi hinter sich gelassen hat, streckten diese „Indianischen Feigen“, die zwei Jahrhunderte zuvor nach der Eroberung Amerikas hierher gekommen waren, „ihre großen, stummeligen Blätter zwischen dem ver-
blichenen Grün der bescheidenen Myrten unter dem Goldgrün der Granatbäume und dem blassen Grün der Olivenbäume aus“. Auf dem Land in der Nähe von Neapel kehrt er zurück, um die Zitrusfrüchte zu loben, die frei wachsen und nicht wie in nordeuropäischen Gärten „beschnitten und in einen Kübel gepflanzt“ werden. Auf den neapolitanischen Märkten sind sie Teil des Festes der Farben, Düfte und Aromen. Die Läden sind geschmückt mit „Zitrusfrüchten aller Art, die schön gemischt mit den grünen Zweigen aussehen“, und die Straßenverkäufer „gehen herum mit Fäßchen Eiswasser, Gläsern und Zitronen, um überall gleich Limonade machen zu können, einen Trank, den auch der Geringste nicht zu entbehren vermag“. In der Landschaft in der Nähe der Stadt fällt ihm die südliche Landwirtschaft auf: „Die Weinstöcke von ungewöhnlicher Stärke und Höhe, die Ranken wie Netze von Pappel zu Pappel schwebend.“

Schließlich kommt er in Sizilien, im Land der Mythen an, und im öffentlichen Garten von Palermo sucht er zwischen „Zitronenspalieren, die sich zum niedlichen Laubengange wölben … im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes“ die Urpflanze. Aber das Staunen in der ländlichen Umgebung geht noch weiter: In dem Garten in der Nähe des Theaters von Taormina „habe ich mich auf Orangenäste gesetzt und mich in Grillen vertieft“, und in den Feigenkaktuspflanzen und in den Reihen der Weinreben erkennt man eine „raffinierte Kultur“. Es ist eine überraschende Natur, geboren aus dem Klima und alter Weisheit, aber auch der Freundlichkeit zwischen jenen, die etwas anbieten und empfangen, zwischen dem Bauern und dem Reisenden, und von der wir hoffen, dass sie nie enden wird. Wie es im Tal der Tempel von Agrigent heute noch wie in der Vergangenheit geschehen: „Der Vetturin aß mit größtem Appetit rohe Artischocken und Kohlrabi; freilich muß man gestehen, daß sie viel zärter und saftiger sind als wie bei uns. Wenn man durch Äcker kommt, so lassen die Bauern essen, soviel man will.“

Giuseppe Barbera

 

 

 

 

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