Rudolf Borchardt, Der leidenschaftliche Gärtner.
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Am 30. August 1942 hatte das Afrikakorps bei El Alamein seine letzte Offensive auf ägyptischem Boden gestartet. Am 6. September war der deutsche Generalfeldmarschall Erwin Rommel gescheitert. Im fernen Stalingrad begann sieben Tage später die sechste Armee ihren Sturm auf den Stadtkern.
In diesen beiden blutigen Wochen des Zweiten Weltkrieges erschienen in der Neuen Zürcher Zeitung drei Artikel zum Thema „Der Mensch und die Blume“. Verfasser war der deutsche Schriftsteller Rudolf Borchardt, der am 9. Juni 1877 in Königsburg geboren war und damals mit Frau und Kindern in der Toskana lebte – als Mieter einer stattlichen Villa mit großem Park, in dem er leidenschaftlich gärtnerte. Borchardt war schon längst zur Erkenntnis gelangt, dass sich die Welt nicht an Gedichten regenerieren könne. Aber konnte sie es an Blumen und Gärten?
Der Garten war für den umfassend gebildeten und ehrgeizigen Dichter „eine Ordnung der menschlichen Seele, und allen anderen ihrer Ordnungen verwandt“. Er war ihm „eine Ordnung der ganzen Seele und nicht der halben, der tätigen und nicht der schlaffen, und kennt keinen ästhetischen Frömmler, es sei denn als den Spazierer, dem er nichts verargt: der Garten will den Gärtner.“¹
Nach dem 30. Januar 1933 hatte Borchardt alle Hoffnung fahren lassen müssen, in Deutschland wirken zu können. Für die Nazis war der konservative Dichter ein jüdischer Schreiberling. Borchardt zog sich immer mehr zurück und kultivierte seine lebenslange Passion: den Garten, der ihm nicht nur das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung war, sondern eine neue Form der Poesie, in der die Blumen die Worte ersetzten. Denn „die Blume zielt auf den Menschen. Darum blüht nur dem Menschen die Blume. Und darum ist nur das Kompendium des Menschen, der Dichter, der vollkommene Gärtner“.²
Gegen das totalitäre System in der Heimat, das die Welt mit Verfolgung, Mord und Krieg überzog, setzte Borchardt den Garten, der ihm zu einer Heterotopie wurde, in dem der Gärtner – wie der Dichter, nur mit anderen Mitteln – den Unterschied zur eigenen Zeit intensiv erlebte: „Wenn das Buch das Geistermittel ist, kraft dessen es menschlicher Freiheit vergönnt ist zu leben in welcher Zeit sie will und wählt, die Blume entfesselt die Freiheit der menschlichen Phantasie von den gleichen Gefängnissen des Raumes.“³
Die Arbeit an seinem Gartenbuch, unterstützt von einem großzügigen Zürcher Mäzen, sicherte Borchardt die Existenz. Der Garten war mehr als nur ein Luxus oder eine Spielerei. Der Autor hoffte zudem auf den Erfolg der geplanten englischen Übersetzung im Heimatland der Gartenliteratur. Doch nur die drei Schweizer Zeitungsbeiträge wurden veröffentlicht. Borchardt starb am 10. Januar 1945 in Tirol. „Der leidenschaftliche Gärtner“ erschien erst postum im Jahr 1951 im Zürcher Verlag Arche und wird seither immer wieder aufgelegt.
Was hat man nicht alles in dieses Buch hineingelesen, in dem Borchardt die vom Menschen gezüchteten Kulturpflanzen preist, für klare Strukturen im Garten plädiert, sich für edle Sorten begeistert, die Vielfalt der Wildblumen verschmäht und das Hohe Lied auf den Gärtner singt: „Der Mensch, der Blumen pflanzt, ist ein Gärtner. Um Blumen pflanzen zu können, muss man Blumen haben. Um sie zu haben, gibt es mehr als einen Weg. Man hat sie gesammelt wo sie vorkamen; man hat, ohne sie zu verletzen, ihnen Teile entnommen und sie gesetzt; man hat sie aus ihrer wilden Saat hervorgerufen; und man hat die auf diese Weise besessenen aus ihrer neuen Nachfolge vermehrt und wieder umgepflanzt.“⁴
Die bereits zitierte Aussage: „Der Garten will den Gärtner“ taugt wahrlich nicht, um aus Borchardt einen Sozialdarwinisten zu machen. Wie das Gedicht so ist auch die Blume Menschenwerk. Doch im Gegensatz zur Poesie wirkt der Garten unmittelbar: Er ist nicht an die Sprache gebunden und nicht in ein Buch gebannt. Der Garten wird so zu einer realen Anthologie, die ihre schöpferische Kraft aber nur entfalten kann, wenn sie „das uralte Traumbild und Wunschbild der Menschheit, das von einem Garten zu einem Garten, von Eden bis Gethsemane“ spiegelt und das altbekannte „Drama von Schuld und Sühne“ aufführt.⁵
Ein solcher Garten ist grundsätzlich offen für Neues, er ist eine „gewaltige Demokratie“.⁶ Die Wendung ist durchaus positiv gemeint. Denn an diesem Ort kommen Pflanzen und Samen aus aller Herren Länder gleichberechtigt zusammen, repräsentieren „die ganze Welt, in einen Zaun gefangen, Mohren und Indianer und Ungarn und Chineser, Bassa und Perser und Walloner, Kaiserkronen und Rittersporen und Bischofsmützen und Kapuzer und Eisenhüte, zwischen ehrlichen Schwaben und Biederleuten im Staat“.⁷
Gegen alte und neue völkisch Bewegte preist Borchardt den gestalteten Garten, in dem es nicht wild und ungeordnet zugeht. Hier überwindet menschliches Handeln und Wollen die biologische Vorbestimmung. Blumen, die an ihrem Ursprungsort ein anderes Klima gewohnt sind, werden geduldig an die neue Umgebung angepasst. Dieser hortus conclusus ist allerdings nicht pflegeleicht und erst recht nicht im Gartencenter zu finden. Die billige Massenware ist vulgär, das „ready made“ der „Todfeind und die Negation der Liebhaberei“.⁸ Daraus entsteht nur „ein übertünchtes Grab“.⁹ Der Kommerz funktionalisiert die einzelne Blume rücksichtslos, während Borchardt ihre Individualität respektiert.
Der anspruchsvollen Gartenpoetologie ist zugleich ein umfangreicher „Katalog der Verkannten, Neuen, Verlorenen, Seltenen, Eigenen“¹⁰ beigegeben, der das profunde botanische Wissen des leidenschaftlichen Gärtners Borchardt dokumentiert und in dem Theorie und Praxis auf wunderbare Weise zusammenfinden. Er sei auch heute noch jedem kultivierten Gärtner empfohlen!
Der auf jahrelangen Erfahrungen beruhende Katalog bestätigt die Grundaussage des Buches: Auch an Blumen und Gärten kann sich die Welt nicht regenerieren. Denn „die Leidenschaft, an der das Bild eines Gartens sich in der Phantasie entbindet, um sich der Wirklichkeit zu unterwerfen, entstammt nicht der Übersättigung mit Träumerei, sondern der Übersättigung mit Zufügen und Erleiden, der ungetäuschten Einsicht in die Wirklichkeit der Welt des Bösen, dem Atemholen im Drama des Kampfs mit dieser Welt.“¹¹
Aber der kunstvoll gestaltete Garten ist auch in widrigsten Zeitläuften ein Ort der persönlichen Freiheit. Die nie endende Aufgabe des Gärtners besteht darin, Ordnung in die Natur zu bringen. Eben deshalb bedarf der Garten seiner „ständigen Liebe und Pflege“.¹²