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Zeit für den Garten

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Zeit für den Garten

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Mich fasziniert die Ernsthaftigkeit, mit der die Menschen im Flugzeug oder im Zug, kaum eingestiegen, ihre digitalen Utensilien auspacken. Im Nu sind sie weg, eingemauert in den eigenen medialen Garten. Die Rede ist von Handys, Tablets, Laptops, Kopfhörern, die uns in eine andere Welt entführen: über Stunden wird jeder sinnliche Kontakt zu anderen annulliert. Man beschäftigt sich allein im eigenen Garten, in einer Stille, die etwas Apathisches hat, sogar Kinder verlieren ihre Wildheit und sitzen domestiziert vor ihren Bildschirmen. Wer mit einer gewissen Bedachtsamkeit eine Zeitung oder ein Buch aufschlägt, gehört definitiv zur Minderheit, verrät vielleicht sogar sein Alter.
Die Frage, die ich mir stelle, ist, warum wir, trotz all dieser moderner Mittel, kaum Zeit haben. Wir sind erschöpft, und wenn der Tag 28 Stunden hätte, würde die Zeit trotzdem nicht reichen. Für mich selbst stelle ich fest, dass ich seit einigen Jahren neue „Arbeitgeber“ habe, die nach meiner Zeit lechzen. Es sind keine normalen Arbeitgeber, denn sie offenbaren sich nicht als solche, und eigentlich sollten die Herrschaften Twitter, Instagram, Facebook, und Verwandte eigentlich für mich arbeiten und nicht das Gegenteil. Solange ich diese dirigiere, passiert das auch, doch es ist verzwickt: irgendwie dreht sich der Spieß immer wieder um. Zwar hole ich schneller Informationen ein, bin ständig mit anderen in Kontakt, habe ein größeres Netz, doch dafür wird immer gieriger von mir verlangt, jene Arbeit zu erledigen, die früher alle möglichen ausgebildeten Spezialisten erledigt haben, angefangen bei Reisebüro-Fachleuten: ich merke, zwar arbeite ich effizienter, aber dafür verliere ich die gewonnene Zeit gleich wieder unter ihrem Joch.

Eine gute Medizin, um unsere Sinne – das Sehen, das Riechen, das Fühlen, das Hören – wieder zu beleben, ist ein kurzer Spaziergang in den Garten, sei er auch noch so winzig. Barfuß das Gras betreten, unverfälscht Düfte und Farben wahrnehmen, Maße und Formen der Pflanzen tasten und diese immense Kraft, die uns die Natur so großzügig schenkt, zu unserem Eigen machen.
Wenn Sie Italien besuchen, gehen Sie auf die Suche nach den versteckten Gärten, die von Norden bis Süden zu finden sind: Die geheimnisvollen Gärten von Venedig, den Garten von Ninfa, in Cisterna Latina, umweit von Rom, von der New York Times zum schönsten Garten der Welt gekürt, oder den Garten Grock in Imperia (Herr Grock war ein berühmter Clown), Villa Carlotta in Tremezzo, Villa Cetinale in Siena, oder den herrlichen kleinen Nutzgarten von Karl dem Großen in Mantua.
Der Noch-König Karl war im Jahr 800 n. Chr. auf dem Weg von Aachen nach Rom, um vom Papst zum Kaiser gekrönt zu werden. Man fragt sich, wann er die Zeit fand, als er in Mantua pausierte, Capitulare de villis, eines der wichtigsten Bücher über Blumen, Obst und Gemüse zu schreiben, die in einem Nutzgarten zu pflanzen sind. Doch er fand sie und wir können heute noch davon profitieren. Wer weiß, ob auch wir sie wieder finden, die verlorene Zeit im Garten der Apathie.

SC

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