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Volker Stelzmann – zum 80. Geburtstag

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Die italienisch-deutsche Kulturzeitschrift „Epoca“ hat in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts einmal die Frage gestellt, wo weltweit in der zeitgenössischen Szene noch christliche Kunst oder doch christliche Themen in der Kunst wirksam seien. Das Ergebnis war überaus überraschend. Am fündigsten wurde die Untersuchung ausgerechnet in der atheistischen DDR. Dabei waren die ostdeutschen Künstler, die die biblischen Themen revitalisierten, keineswegs offensive Dissidenten. Sie waren aber gründlich zermürbt von der flachen doktrinären DDR-Ideologie und dem Sozialistischen Realismus, die man ihnen aufzwingen wollte, sie suchten stattdessen nach Ausdruck für ihre existentiellen Erfahrungen, für ihre hochfliegenden Phantasien, für ihre Nöte und ihr Schicksal. Im Westen zeichnete sich immer deutlicher ab, dass sich die Avantgarde-Ästhetik zum goldenen Käfig entwickeln würde, dass sie sich im Kreis bewegte, aus dem es keinen Ausbruch mehr gibt. Die Maler der Leipziger Schule, zu deren markantesten Figuren Volker Stelzmann als Vertreter ihrer zweiten Generation zählt, gingen dagegen hinter eine orthodoxe Moderne zurück und zugleich über sie hinaus. Sie öffneten und belebten wieder den pulsierenden Blutkreislauf einer jahrhundertealten Kunst, ihrer Bildsprachen, ihrer Ikonographie und Syntax, ohne dem verbrauchten Akademismus und Historismus der Vormoderne zu verfallen.

Wir dachten lange, dass sich die Kunst von der Menschenbildnerei verabschiedet und dieses Feld restlos den neuen Bildmedien, der Fotografie und der Werbung überlassen hat. Stelzmann (Jahrgang 1940) hat das mit seinem Lebenswerk großartig widerlegt. Seit Jahrzehnten spürt er in virtuosen Figurenkompositionen, die den Körper als Ausdrucks- und Leidensträger in Szene setzen, dem Mechanismus der Gesellschaft nach. Er zeigt beide Seiten – die grellen Schauseiten in Straßenszenen und Salons, aber auch die mentalen Bereiche, die Rückzugsgebiete in hintersinnigen Allegorien, in konspirativen Künstlertreffen, in der grüblerischen Einsamkeit des Ateliers oder in beziehungsreichen „sprechenden“ Stillleben. Stelzmann ist heute der seltene Fall eines Malers, der die zeitgenössische wie die biblische und mythologische Historie beherrscht und vor allem eine Durchdringung beider Sphären bewerkstelligt.
Drei Jahre vor dem Kollaps des Regimes hatte Stelzmann der DDR den Rücken gekehrt. Sein Seitenwechsel sorgte im Osten wie im Westen für helle Aufregung. Durch seinen Seitenwechsel explodierte der hässliche deutsch-deutsche Bilderstreit, ja ein veritabler Kunstkrieg, der über die ganze Nachkriegszeit geschwelt hatte und noch bis heute nachwirkt. Zwei Jahre später, 1988, wurde Stelzmann als Professor an die Berliner Kunsthochschule berufen, wo er das Erbe von Dix und den Zwanziger Jahren, aber auch das Erbe der berühmten Leipziger Schule grandios fortentwickelte und weitergab. Stelzmann streift mehr und mehr die szenische Folklore seiner Straßenbilder ab und reduziert sie auf „Musterbilder“, wie er sagt, mit vielfach biblischem Kern. Das können lapidare, gleichsam spanische Stillleben mit sprechender Symbolik sein oder auch Tischgesellschaften mit oder ohne Personal, dafür mit Abendmahl-Requisiten oder Werkzeugen, die auf die Passion verweisen.

Hintergründige Parabeln hat der Künstler zur deutschen Wende und Vereinigung beigesteuert. Der „Aufbruch“ ist ein Abstieg in den Keller und das Weghebeln einer Grabplatte. Auf den Straßenbildern fliegen und taumeln die Gestalten in gespreizten Parabeln vorbei – lebende Tote, aufgedonnerte, grell geschminkte Mumien. Das gleiche Personal kehrt wieder in spelunkenhaften Abendmählern, in ganzen Passionszyklen, aber auch in Atelierszenen und verschworenen Männergesellschaften, in denen sich Stelzmann seiner Idole von Grünewald, Pontormo und Zurbarán bis de Chririco und Dix leibhaftig vergewissert und wo es um den Geist und das Mysterium der Kunst geht. Am tiefsten ist der Dialog mit dem bewunderten Ahnherrn Pontormo. Stelzmann wagt sogar einen Brückenschlag von der wüsten Vorstellungswelt des Florentiner Manieristen und Exzentrikers zur Unterwelt unserer Städte, zur Welt der Drogen, Laster, der Gewalt und Obdachlosigkeit. Mit Pontormo teilt der Maler das bodenlose Lebensgefühl, das Gefühl von der Getriebenheit, der Verlorenheit, Gängelung und Verdammnis aller irdischen Existenz.

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