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De Gustibus

DE GUSTIBUS 2022

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In dieser Rubrik geht es seit zehn Jahren um italienische Süßspeisen und eigentlich liebe ich Süßes, nur durchgehe ich gerade eine Phase, in der ich überhaupt keine Lust nach Zucker verspüre. Es scheint aber so, dass diese Rubrik einen Selbsterhaltungstrieb hat und deshalb schreibe ich über den maritozzo. Jeder, der in Rom war und schonmal einen maritozzo gesehen oder sogar gegessen hat, wird wissen, dass, wenn man keine Lust auf Süßes verspürt, lieber die Finger vom maritozzo lassen sollte. Aber der schon erwähnte Selbsterhaltungstrieb, offenbar stärker als mein eigener, ist schuld. Es geschah so:
Am Sonntag hatte ich geplant, mit einem Freund frühstücken gehen. Nun ist dieser Freund ein Pendler, muss also während der Woche früh aufstehen und schläft am Wochenende bis in die Puppen. Es wurde also ein spätes Frühstück, so spät, dass ich schon gefrühstückt hatte, und zwar Cornetto mit Cappuccino. Als ich ankam, beichtete ich ihm das und er schlug vor, gleich Mittagessen zu gehen. Der Vorschlag gefiel mir, weil ich ja seit neuestem lieber salzig esse, wir gingen also zu einem bekannten chinesischen Restaurant mit Küche aus der Sichuan-Region und bestellten einiges, ein weiterer Freund gesellte sich dazu, wir bestellten noch mehr und am Ende saßen wir pappsatt da und genossen die Sonne. Das Gespräch fiel auf die Rubrik. Ich erzählte, dass viele Delikatessen schon abgehandelt worden waren, und mir gerade keine weitere einfiel, bis auf den maritozzo, den ich noch nie probiert hatte. Mein Freund wurde plötzlich von einer unerwarteten Erregung ergriffen, ich weiß nicht, wo er nach dem Gelage die Energie fand, es musste das Ausschlafen sein, auf jeden Fall schrie er euphorisch, sofort Regoli aufzusuchen, das ist eine Patisserie, die einen ganz besonders üppigen maritozzo machen soll.
Ich protestierte, aber es brachte nichts, denn auch der andere Freund fiel in die Euphorie, als hätte die Rubrik ein Eigenleben entwickelt und die zwei völlig eingenommen, um nicht auszusterben, und so schleppten sie mich zu Regoli bei Piazza Vittorio und zwangen mich, ja zwangen mich tatsächlich, dieses überdimensionierte mit Schlagsahne gefüllte und Schmalz überstrichene Brötchen zu verzehren, und zwar ganz. Es war eine Tortur, aber ich habe es getan, ich habe mich geopfert, zum Wohle der Rubrik.
Das Sadistische am ganzen Vorfall ist ja, dass die zwei Freunde nichts gegessen haben, sie nippten an ihrem Espresso und schauten mir beim Essen zu. Dabei erzählten sie mir die Geschichte dieser Kalorienbombe, die sich gerade in meinem Magen mit dem Sichuanpfeffer vermischt und mich wahrscheinlich zu zwei Tagen Bettruhe zwingen wird. Anscheinend schenkte im antiken Rom der Bräutigam – auf Italienisch marito – seiner zukünftigen Frau dieses Naschwerk, als kleinen Vorgeschmack seiner selbst. Sie vernaschte ihn also buchstäblich und fand im Inneren den Hochzeitsring. Ich fühle mit der armen Frau, kann aber nur sagen, dass sie wenigstens vorher kein Sichuan, Cornetto und Cappuccino gegessen hatte. Ich muss mich jetzt hinlegen, sonst gibt es nächstes Mal diese Rubrik wirklich nicht mehr.

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