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Eine uralte, herrliche Symbiose

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Wenn Dolce far niente und deutsche Tugenden aufeinander treffen

Deutsche und Italiener – welch uralte, herrliche Symbiose! Giorgio de Chirico, Giorgio Strehler, Claudio Magris – die Liste italienischer Künstler und Intellektueller, die Deutschland schätzten bzw. schätzen, läßt sich beliebig fortsetzen. Sophia Loren und Marcello Mastroianni hatten – wie hätte es anders sein können! – auch nördlich der Alpen Fangemeinden. Milva und Rita Pavone sangen auch auf Deutsch. Kein Schatten schien diese Liebe zu trüben. Italien – man darf hier ruhig einmal „Eulen nach Athen“ tragen (oder portare vasi a Samo, wie die schöne italienische Metapher sagt) – war und ist bis heute unser Traumland, trotz der Verlockungen türkischer, spanischer oder griechischer Mittelmeerstrände. Hier wurde  – ein ganz subtiles Vorurteil schwang freilich bereits mit – jenes Dolce far niente praktiziert, das Deutsche sich in den Fünfziger- und Sechzigerjahren als Belohnung ihrer Arbeit zugestanden, während es im Süden angeblich alltäglich war.

Tatsächlich vermißte man – bei aller Begeisterung für Landschaft, Wein und Kunst, Olivenbäume und Sonnenuntergänge – früh „deutsche Tugenden“ wie Fleiß, Diszipliniertheit, Ehrlichkeit und vorauschauende Planung, ja sogar – dies war schon die arrogante Botschaft nicht weniger Reisebeschreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts! – ein grundlegendes Verständnis für Kunst und Literatur (!). Traf der gebildete, moralisch hochstehende Deutsche südlich Veronas im Grunde nicht auf Kinder? Zumindest aus protestantischer Sicht – vom frommen Pietisten bis zum disziplinierten Clavinisten – stand dies außer Frage.  „Was für ein Unterschied ist zwischen Römer und Deutschem? Jener schafft nicht und lebt, dieser lebt nicht und schafft“, schrieb der schwäbische Theologe Wilhelm Waiblinger, dem Schaffen wohl in besonderer Weise heilig war. Entsprechend konnte man in Meyers Konversationslexikon von 1846 lesen: „Der Deutsche und der Italiener divergieren in ihrem Charakter so sehr, daß beide gleichsam die Pole der westeuropäischen Menschheit bilden“.

 

Schon Lessing, Goethe, Herder, Heinse, Vischer, Platen, Haeckel und Nietzsche trugen nicht nur zur deutschen Begeisterung für Rom, Florenz und Neapel bei. Sie erlaubten sich auch teilweise hanebüchene Vorurteile, die das italienische Bild vom besserwisserischen, herzlosen Deutschen zweifellos mitprägten. Selbst im angeblich so toleranten heutigen Deutschland ist ein deutliches, keinesfalls nur wirtschaftlich begründetes Mißtrauen Italienern gegenüber unübersehbar. Ein bestimmter, aus südlicher Sicht recht zweifelhafter Anspruch auf die politische, ökologische und – vor allem! – moralische Deutungshoheit innerhalb Europas spielt, ohne daß es den meisten Berliner PolitikerInnen, Presseleuten und Kulturschaffenden bewußt sein dürfte, in Italien direkt Populisten in die Hände. Tatsächlich zeigen Deutsche zunehmend großzügig und libertär geworden, für alles Verständnis, nur nicht dafür, daß ihre politisch-moralischen Kriterien in Südeuropa nicht allgemein akzeptiert werden. Was in Italien als besserwisserische Attitüde verstanden wird, gilt in Berliner Politikkreisen, aber auch in der deutschen Presse nicht selten geradezu als Tugend. Dabei handelt es sich um ein uraltes Phänomen. Wie der Soziologe Helmut Plessner schon 1924 erkannt hat, sahen sich zahllose deutsche Intellektuelle seit Jahrhunderten als das „Gewissen der Welt“. Bestätigt sich der berüchtigte, Kaiser Wilhelm zugeschriebene Satz vom „deutschen Wesen“, an dem die Welt „genesen“ sollte, nicht auch in der heutigen deutschen Schwäche, Regierungen anderer Völker geradezu reflexartig moralisch zu belehren (wobei man die wilhelminischen Ursprünge dieses Verhaltens, sollten sie je realisiert werden, sicherlich empört zurückweisen würde)? In Italien sieht man EU-Propagandisten, hinter denen man reflexartig Berlin vermutet, dagegen eher als herzlose Apparatschiks, deren Europabild von Paragraphen bestimmt ist.

Ungeachtet des Triumphzugs der italienischen Küche nördlich der Alpen und des (inzwischen deutlich abflauenden) Einflusses Florentiner oder Mailänder Modehäuser, trotz der Schwäche für italienische Designs und der Bewunderung für mediterrane Lebensart fühlt man sich Südländern gegenüber politisch-moralisch überlegen und somit auch berechtigt, ihnen die Leviten zu lesen. Das „Gutmenschentum“ auf Kosten anderer blieb, wie sich Wolf Lepenies ausdrückte, eine unserer negativsten Charaktereigenschaften. Das heißt nicht, daß man politische Fehlentwicklungen in Italien totschweigen sollte. Auch in Rom selbst werden die Mafia, die verbreitete Korruption oder die zum Volkssport gewordene Steuerhinterziehungen durchaus kritisch gesehen, doch verbittet man sich Zurechtweisungen aus Berlin – einfach weil man deutscher Belehrungen, auch aus historischen Gründen, überdrüssig ist. Man braucht deshalb nicht lange zu fragen, warum italienische Politiker, die die antideutsche Karte spielen, so viel Erfolg haben. Die Anerkennung, daß wir Deutsche Italien und den Italienern auch unendlich viel Positives verdanken, wäre Balsam auf italienische Wunden. Es würde uns auch politisch nützen.

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